„Wenn zum Beispiel ein taoistischer Weiser durch den Wald wandert, geht er nicht irgendwo hin, sondern er wandert eben. Wenn er die Wolken beobachtet, gefallen sie ihm, weil sie kein festes Ziel haben. Er schaut den Vögeln zu, wie sie fliegen, und den Wellen, wie sie ans Ufer schwappen. Er bewundert alle diese Dinge, weil sie nicht auf die Art geschäftig sind, wie normalerweise Menschen geschäftig sind, und weil sie keinem anderen Zweck dienen, als das zu sein, was sie eben gerade jetzt sind. Aus diesem Grund sind die besonderen Stile der chinesischen Malerei in der T'ang-, Sung- und späteren Dynastien entstanden, wo das Hauptinteresse der Natur mit ihrer zielfrei dahinwandernden Art gilt.“ Alan Watts
Kann man zum Beispiel aus einem Stück Stein zweck- oder zielfrei eine Skulptur herausschlagen? Geht das überhaupt, sich vollständig auf einen Prozess einzulassen und dabei nicht an ein bestimmtes Resultat zu denken? Es widerspricht gewiss unserer gewohnten Art, mit Dingen umzugehen, an Dinge heranzugehen! Erst denken wir, planen wir, konzipieren wir, dann setzen wir um. Bei dieser Umsetzung mögen wir durchaus sehr präsent sein, aber vom Arbeitsgang und der Gestaltung her haben wir uns in eine festgelegte Bahn gesetzt. Sicher kann sich dabei noch einiges Unerwartete einstellen, was das Endergebnis anders aussehen lässt, als es geplant war. Das kalkulieren wir gegebenenfalls bei bestimmten Dingen, insbesondere im kreativen Bereich, von vorneherein mit ein. Insgesamt aber soll das, was hinterher herauskommt, unserer Zielvorstellung entsprechen. Das ist normal. Das ist eine schöne Kausalkette und schön wie ein korrekter Satz gereiht: Subjekt – Prädikat (Verb/Prozess) – Objekt.
Wieso sollte man aus dieser klassischen Form eines Handlungablaufes ausscheren? Wieso sollte man bei einer bildhauerischen Arbeit nicht erst einmal sich eine gute Idee austüfteln, um sie anschließend möglichst akkurat im Material Stein zu verwirklichen? Üblicherweise macht man sich zur Orientierung zuvor Zeichnungen oder ein Modell (Bozetto). Dann muss man nur noch wissen, wie man mit Hammer und Meißeln umgeht oder einem Kompressor, Winkelschleifern u.ä., und alsbald ist die gewünschte Skulptur hergestellt. Tatsächlich arbeiten die allermeisten Steinbildhauer vom Prinzip her so und ebenso die meisten Steinbildhauerlehrer in ihren Workshops, Kursen oder Seminaren.
Mein Ding ist das nicht. Ich finde sowas totlangweilig. Es entspricht auch überhaupt nicht meiner Auffassung vom Universum, vom Lauf der Dinge hier und jetzt und von meiner (immanenten Anfänger-) Rolle darin. Dazu: Ich liebe die wunderbare, konkrete Pracht der Dinge, ihre bloße farbige, geformte, oberflächliche Erscheinung, ihre rein sinnliche Präsenz! Ich muss (mir) nicht dauernd sagen, „Das sieht ja aus wie...“ oder „...erinnert mich irgendwie an...“, „Da stelle ich mir vor, dass...“ oder „Bestimmt kommt das daher, weil...“ usw. usf. Nein, wirklich, ich liebe die Welt in ihren kleinsten Fitzeln so, wie diese grad sind, und finde all dies höchst mirakulös! Und das meine ich ohne jede höhere oder tiefere Bedeutung, sondern einfach so. Das ist mal das Primäre, von dort her komme ich als Bildhauer und auch als Lehrer. In welchem Zusammenhang diese etwas asymmetrische Einlassung mit dem zuvor Gesagten steht, soll an anderer Stelle erläutert werden, dabei spielt insgesamt Unmittelbarkeit eine entscheidende Rolle.
Ich hatte großes Glück. Nach Abschluss meines Studiums an der Uni Hildesheim im Sommer 1993 habe ich sofort nach Italien in die Nähe von Carrara gehen können, um dort an einer bekannten Sommerakademie Steinbildhauerei zu unterrichten. Das habe ich dann zehn Jahre lang jeden Sommer über Monate hin getan. Eine wundervolle Zeit! Ich habe währenddessen (eigentlich viel zu schnell) auch zu meiner eigenen Art von Skulptur gefunden und diese auch gleich öfter verkaufen können.
Vor allem aber habe ich dort auf professionelle, ausgereifte Weise gelernt, direkt in den Stein zu arbeiten („taille directe“). Überall, in all den zahllosen Bildhauerstudios in dieser begehrten Marmorgegend, wird auf die eingangs beschriebene, "klassische" Weise vorgegangen, nur am „Campo dell' Altissimo“, wo ich gelandet bin, ausgerechnet nicht; dort ging es immer auch eher etwas chaotisch, anarchisch, auf wilde Art geregelt ab. Was für ein Glück! Es entspricht einfach komplett meiner Mentalität.
Der folgende Text ist in drei Teile gegliedert:
im ersten Abschnitt werde ich die Erfahrungen, die ich in Italien machen konnte, beschreiben und erläutern; was ist die „taille directe“ (kunsthistorische Einordnung) und wie vermittelt sich dieser Ansatz an Laien;
im nächsten Abschnitt werde ich das, was ich eben im Hinblick auf meine eigenen Skulpturen angedeutet habe, ausführen; untermalt sozusagen durch deren Abbildungen /siehe: "Steinskulpturen" und die Texte dazu ("Elementarzeichen", "Schatten der Dinge") soll mein bildhauerischer Standpunkt deutlich werden;
im letzten Textabschnitt werde ich von meiner Workshop-Arbeit hier in Deutschland berichten; wie bringe ich Leute an einem Wochenende möglichst nah an eine authentische bildhauerische Erfahrung - ohne dass Spiralen/Schnecken oder „Köppe, Kätzchen und nackte Weiber in Stein“ (Kollegenspruch) dabei herauskommen.
Ganzer Text zum Herunterladen (bzw. kurz Lesen: S.10-13 u. 25-28)
Anhang: im Text auf S. 8 erwähnte Beispiele hinsichtl. "Primitivismus" bzw. "Abstraktionsprozess" (von links: Rodin, Brancusi, Modigliani und nochmal Brancusi)